Im Moment scheint die Debatte über die
möglichen Lösungen der Euro-Krise in eine Phase des anything
goes eingetreten zu sein: vorgestern der Hebel für den Rettungsschirm, gestern die Beteiligung der EZB, heute Elitebonds,
morgen womöglich etwas völlig anderes. Nach dem trilateralen Gipfel
zwischen Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und Mario Monti wissen wir
ziemlich sicher, dass auf dem nächsten Treffen des Europäischen Rats etwas
Größeres beschlossen wird, aber was genau, lässt sich nur vage erahnen. Und
darum will ich heute noch einmal kurz ein paar Worte darüber verlieren, welchen Weg aus der
Schuldenkrise ich selbst bevorzugen würde.
Zwei
Komponenten: Eurobonds und Durchgriffsrechte
Von
allen Vorschlägen, die bisher offiziell vorgebracht wurden, scheint mir
derjenige der Europäischen Kommission die umfassendste Lösung zu
bieten. Er setzt sich, kurz gesagt, aus zwei Komponenten zusammen,
nämlich einerseits der Einführung von Eurobonds und andererseits
der Ermächtigung der Kommission zu einer schärferen Kontrolle der
nationalen Haushalte, einschließlich Durchgriffsrechten bei einer
anhaltenden Verletzung des Stabilitätspakts. Diese zwei Komponenten
ergänzen sich: Eurobonds lösen das strukturelle Problem der
Währungsunion, dass es aufgrund der unterschiedlichen Sicherheit bei
einem exogenen Schock zu einer Kapitalflucht von den Anleihen der
schwächeren in die der stärkeren EU-Mitgliedstaaten kommt: Wenn die
Investoren gewusst hätten, dass irische Anleihen trotz der globalen
Finanzkrise ebenso sicher sind wie deutsche, hätten sie ihr Vermögen
auch in unsicheren Zeiten nicht aus Irland abgezogen und es wäre
dort gar nicht erst zur Schuldenkrise gekommen. Allerdings bieten
Eurobonds auch das Risiko von Moral Hazard: Einzelne Länder könnten
beginnen, sich hemmungslos zu verschulden, da sie ja wissen, dass für
ihre Anleihen im Zweifel die anderen Mitgliedstaaten geradestehen.
(Man sollte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass dies
bei den meisten der heute überschuldeten Staaten bislang nicht der Fall war – Spanien und Irland erzielten in den Jahren vor der Krise
sogar Haushaltsüberschüsse, und auch Italien hatte seine
Neuverschuldung stark gedrosselt. Aber immerhin, das Risiko besteht.)
Und deshalb ist die zweite Komponente des Vorschlags wichtig, das Kontroll-
und Durchgriffsrecht der Kommission auf die nationalen Haushalte, mit dem eben dieses Verhalten verhindert werden kann.
Dabei
ist die Reihenfolge, mit der die beiden Komponenten eingeführt
werden, von Bedeutung. Die Einführung von Eurobonds würde
nämlich die gegenwärtige Schuldenkrise wahrscheinlich in sehr
kurzer Zeit beenden – und wenn dieses kurzfristige Problem erst
einmal gelöst ist, werden wohl viele Staaten nicht mehr zu der
Souveränitätsübertragung bereit sein, die notwendig ist, um eine
effektive Haushaltskontrolle durch die Kommission zu ermöglichen.
Insofern ist es sinnvoll, Eurobonds nicht auf dem schnellstmöglichen
Weg einzuführen, sondern in einer umfassenden Vertragsreform, bei
der beide Komponenten des Vorschlags gleichzeitig beschlossen werden.
(Das sollte dann auch für die deutsche Bundesregierung verdaulich
sein. Wenigstens der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
im Bundestag, Norbert Barthle, hat so etwas ja bereits angedeutet.)
Eine
kurzfristige Übergangslösung
Allerdings
wird eine derartige umfassende Vertragsreform ihre Zeit dauern,
schließlich geht es bei der Budgethoheit um einen zentralen
Bestandteil der nationalen Souveränität. In dem ein oder anderen
Land könnte ein Referendum notwendig sein, in Deutschland dank des
Lissabon-Urteils sogar eine völlig neue Verfassung. Die Euro-Krise
ist aber jetzt gerade akut – und es besteht die Frage, ob es am
Ende eines mehrjährigen Reformprozesses mit ungewissem Ausgang
überhaupt noch eine Währungsunion zu retten geben wird. Die Lösung,
die die Bundesregierung für dieses Problem anstrebt, scheint eine
Verkleinerung der Vertragsreform sein. So ist davon die Rede, eine
Art „Währungs-Schengen“ zu beschließen: einen gesonderten
Vertrag allein der Mitgliedstaaten der Eurozone (oder gar nur eines Teils von ihnen), der parallel zum EU-Vertragssystem existieren soll. Das
hätte unter anderem den offensichtlichen Vorteil, Großbritannien
aus den Verhandlungen herauszuhalten, das unter der Regierung Cameron wohl ohnehin nur querschießen würde. Es gäbe aber auch einige
praktische Schwierigkeiten: Beispielsweise ist es schwer vorstellbar, wie
neue Aufgaben der Europäischen Kommission in einem Vertrag geregelt
werden sollten, der außerhalb des EU-Vertragssystems steht. Und vor
allem gäbe es da ein demokratisches Problem: Wenn man eine solch
große Reform beschließt, dann sollte man das nicht in einem eilig
durchgepaukten Vertrag tun, sondern nach Möglichkeit eine breite
öffentliche Auseinandersetzung darüber suchen, damit zwischen
Alternativen abgewogen werden kann und die Bevölkerung versteht, wer
zuletzt die Entscheidung zu verantworten hat und welche Gründe ihn dazu
bewegen. Eine solche Auseinandersetzung wird es aber, wenn
überhaupt, nur geben, indem man die große Vertragsreform auch als
eine solche behandelt. Und das bedeutet nach Artikel 48 EU-Vertrag
die Einberufung eines Konvents – auch wenn das ein aufwendiges
Verfahren ist und sicher erst in zwei oder drei Jahren zu einem
Ergebnis führen würde.
Um dem
Konvent diese Zeit zu geben, wäre eine Übergangslösung notwendig,
um die Euro-Krise schon jetzt zu zügeln. An dieser Stelle kommt nun
die Europäische Zentralbank ins Spiel, die vorübergehend als lender
of last resort auftreten und am
Sekundärmarkt Staatsanleihen der meistbetroffenen Länder der
Schuldenkrise aufkaufen müsste. Eine solche Aktivität der
Zentralbank ist zwar grundsätzlich sehr bedenklich: zum einen
aufgrund des damit verbundenen Moral Hazards (Staaten bekommen einen
Anreiz, sich zu überschulden, da sie im Zweifel von der Zentralbank
gerettet werden), zum anderen wegen der Gefahr, dass durch die
massiven Anleihekäufe die Inflation steigt und das Vertrauen in die
Zentralbank beschädigt wird, eine langfristig konstante
Preissteigerungsrate zu garantieren. Beide Risiken wären aber unter
Kontrolle, wenn die EZB von Anfang an klar stellt, dass sie die
Ankäufe von Staatsanleihen nur für einen begrenzten Zeitraum
durchführen wird – nämlich eben bis der Konvent und die
Mitgliedstaaten die notwendigen institutionellen Reformen beschlossen
haben, durch die weitere Rettungsmaßnahmen der Zentralbank unnötig
werden.
Und dennoch …
Auf diese Weise ließe sich die europäische Schuldenkrise in den Griff bekommen, ohne die langfristige wirtschaftspolitische Stabilität zu gefährden, mit einem halbwegs anständigen Verfahren für die Vertragsreform – und doch will mir die Lösung nicht so ganz gefallen. Zum Beispiel graust mir vor dem Moment, in dem wirklich die Europäische Kommission die Haushaltsführung einzelner überschuldeter Mitgliedstaaten übernehmen würde. Wir würden dann ein Europa der zwei Klassen erhalten, wo die reicheren Staaten ihre Budgethoheit selbst ausüben, während die ärmeren zentral aus Brüssel verwaltet werden. Auf welche Akzeptanz in der Bevölkerung werden Steuererhöhungen oder Sozialkürzungen stoßen, die von der Kommission in einer solchen Situation angeordnet würden? Außerdem: Was, wenn ein Mitgliedstaat im falschen Moment spart, etwa weil er selbst gerade einen Aufschwung erlebt, während die Eurozone als Ganzes sich in der Rezession befindet und deshalb eigentlich Konjunkturimpulse bräuchte? Soll dann die Kommission nicht mitreden dürfen? Und schließlich: Wenn alle Mitgliedstaaten der Eurozone ihre Budgetpolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse ansehen, wenn alle makroökonomisch am selben Strang ziehen und zudem alle füreinander haften: Warum legen wir dann die Haushalte nicht einfach gleich zusammen zum Haushalt der Europäischen Union?
Die sinnvollste Lösung für die Euro-Krise scheint mir deshalb nach wie vor der Aufbau einer voll integrierten Fiskalunion zu sein – das heißt eine massive Ausweitung des EU-Budgets und der Einbau automatischer Stabilisatoren auf EU-Ebene durch eine gesamteuropäische Einkommensteuer und ein gesamteuropäisches Sozialsystem. Das wäre natürlich mit großen staatenübergreifenden Umverteilungen verbunden, die aber jeweils von reicheren zu ärmeren Mitbürgern erfolgen würden, wie wir das von unseren nationalen Solidargemeinschaften ebenfalls kennen. Die Schuldenkrise wäre behoben, die EU hätte endlich die Mittel, um produktivitätssteigernde Investitionen in wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen zu tätigen und eine europaweite Angleichung der Lebensverhältnisse zu schaffen, und ein Moral-Hazard-Problem gäbe es nicht mehr und nicht weniger als auf nationaler Ebene auch. Und nicht zuletzt behielte die EU auf diese Weise ihre föderale Struktur, die wirtschaftlich starken Mitgliedstaaten hätten nicht mehr Rechte als die wirtschaftlich schwachen, und die demokratische Verantwortung für Entscheidungen wie die Erhöhung oder Senkung von Steuern und Sozialleistungen wäre wieder klar zurechenbar, nämlich der jeweiligen Mehrheit im Europäischen Parlament.
Nur würde natürlich mit der Übernahme der Budgethoheit auch der politische Einfluss der supranationalen Institutionen sehr gestärkt werden, während die nationalen Parlamente und Regierungen entsprechend an Macht verlieren würden. Und deshalb wird der Europäische Rat über einen solchen Schritt nicht einmal diskutieren.
Bild: StromBer (Own work) [CC-BY-3.0], via Wikimedia Commons
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