Wieder einmal gibt es einen interessanten
Kommentar von Timothy Garton Ash, der diesmal die EU-Reformpläne der
deutschen und der britischen Regierung miteinander vergleicht. Dabei
begrüßt er zunächst einmal, dass Merkel sich überhaupt dazu
durchgerungen hat, mit der Forderung nach einer strikteren
Durchsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und nach der
Einführung einer Finanztransaktionssteuer eine Vision zu
unterbreiten, wohin sich Europa entwickeln sollte.
I have in the past heard Merkel herself characterise the German dilemma in relation to Europe like this: if we don't lead, they charge us with lack of European commitment; if we do, they accuse us of throwing our weight around. For two years, she's been confronted with the first charge; now she faces the second. Damned if you do, damned if you don't.Ich habe in der Vergangenheit Merkel selbst das deutsche Dilemma in Bezug auf Europa folgendermaßen beschreiben hören: Wenn wir nicht führen, werfen sie uns fehlenden europapolitischen Einsatz vor; wenn wir führen, beschuldigen sie uns, unsere Macht auszuspielen. Zwei Jahre lang hat sie den ersten Vorwurf ertragen, jetzt stellt sie sich dem zweiten. Was man auch tut, es ist falsch.
Insofern sei die heutige deutsche
Haltung durchaus lobenswert, fährt Garton Ash fort. Es gebe damit
nur zwei Probleme, nämlich eines im Stil und eines im Inhalt. Bei
Ersterem handelt es sich natürlich um Volker Jetzt-wird-in-Europa-Deutsch-gesprochen Kauder, dessen Tonfall „schlimm genug wäre, wenn die deutschen Politikvorschriften zur Rettung der Eurozone zu hundert Prozent richtig wären“. Leider seien sie aber auch das nicht, da die Bundesregierung
sich weiterhin gegen die Maßnahmen weigere, die inzwischen von „so ziemlich jedem Wirtschaftswissenschaftler
außerhalb Deutschlands“ gefordert würden: nämlich entweder der Europäischen
Zentralbank die Unterstützung von bedrohten Regierungen zu erlauben oder
gemeinsam abgesicherte Eurobonds einzuführen. Wenn die Bundesregierung hier nicht flexibler werde, „wird es womöglich bald keine Eurozone mehr zu
retten geben“. Immerhin aber habe Deutschland überhaupt einen
Vorschlag vorgebracht, den man nun kritisieren könne – anders als
die britische Regierung, deren Premierminister David Cameron nur
leere Floskeln von einem „vernetzten Europa“ von sich gebe, ohne
zu erklären, was das eigentlich sein soll. Zuletzt schlägt Garton
Ash deshalb etwas ironisch vor, dass auf dem nächsten Europäischen
Rat am 9. Dezember die Regierungschefs eine geheime Abstimmung
durchführen, ob ihnen das deutsche oder das britische Zukunftsmodell
für die EU lieber ist: Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um
sich die Isolierung Camerons auszumalen.
Warum Deutschland als dominant
wahrgenommen wird
Nun hat Garton Ash zweifellos recht,
was den britischen Premierminister und seine Worthülsen betrifft.
Seine Haltung gegenüber der Bundesregierung scheint
mir jedoch etwas zu nachsichtig zu sein, wenn er deren Argument, dass man sich durch politische Führung immer unbeliebt macht, einfach übernimmt. Sicher ist Merkel in den
letzten Jahren zuerst ihre Zögerlichkeit vorgeworfen worden, weil
sie keinen Plan zur EU-Reform hatte, und dann ihre Dominanz, als sie
mit einem aufwartete. Aber immerhin ist Deutschland wirtschaftlich
bereits seit einigen Jahrzehnten das unangefochtene Schwergewicht des
Kontinents und nimmt infolgedessen auch schon lange eine
Führungsrolle ein – und dennoch kannten zum Beispiel Konrad Adenauer und Helmut Kohl in
der Vergangenheit offenbar nicht dieses Dilemma, aus dem Merkel nun
keinen Ausweg sieht.
Der Grund dafür war, dass diese Kanzler recht bald
eingesehen hatten, dass es in der Europapolitik nicht um Sieg oder
Niederlage geht und Deutschland seine Vorhaben nur dann würde
durchsetzen können, wenn diese auch für alle anderen
Mitgliedstaaten erkennbare Vorteile enthielten. Indem sich die
Bundesregierung immer wieder auch auf Seiten der kleinen Länder
schlug oder sich zum Fürsprecher der Kommission und
des Europäischen Parlaments machte, gewann sie im Rest der EU Glaubwürdigkeit und konnte erfolgreich eigene Ideen vertreten, ohne
als selbstherrlich wahrgenommen zu werden.
Die heutige CDU dagegen weist in ihrem
jüngsten Parteitagsbeschluss die Schuld an der Euro-Krise allein den
überschuldeten Ländern zu (dazu sehr lesenswert Kash Mansori), fordert unter Berufung
auf das Subsidiaritätsprinzip „vor
allem Anstrengungen der Staaten selbst“ und verlangt ansonsten, dass die EU mehr Durchgriffsrechte auf die
Haushaltspolitik von Ländern erhält, die gegen den Stabilitätspakt
verstoßen. Im Gegenzug dafür bietet sie … nichts: keine
Eurobonds, kein Einsatz der EZB als lender of last resort. Lediglich der Europäische
Stabilisierungsmechanismus wird in dem Parteitagsbeschluss mehrmals
als große Geste der Solidarität beschrieben, obwohl der längst
beschlossen und schon jetzt klar ist, dass sein Volumen nicht
genügen wird, um die Krise zu überwinden – und natürlich beharrt
die CDU darauf, dass jedes Hilfsprogramm auch künftig einzeln vom
Bundestag abgesegnet werden muss, sodass Deutschland auch weiterhin
die Bedingungen diktieren kann, unter denen diese Rettungsleistungen
erbracht werden. Sollte ein Mitgliedstaat dann „dauerhaft
nicht willens oder in der Lage sein, die mit der gemeinsamen Währung
verbundenen Regeln einzuhalten“, so soll er die Eurozone bitteschön
verlassen.
Für Deutschland selbst will die CDU dagegen den Einfluss
der Europäischen Kommission nach Möglichkeit zurückfahren,
schließlich kann es „nicht darum gehen, die Starken zu schwächen“,
und überhaupt ist die europäische Integration „kein Selbstzweck“,
ein „Zuviel an Regelungen“ muss unbedingt vermieden werden und es
„muss auch möglich sein, Aufgaben wieder auf die Mitgliedstaaten
zurückzuführen“. Selbst wenn die Idee, die Stimmen im Rat der EZB künftig nach Kapitalanteilen zu gewichten, offenbar nicht weiterverfolgt
wurde: Aus dem Parteitagsbeschluss spricht nach wie vor kein
föderaler Geist, sondern der Wunsch nach einer deutschen Hegemonie,
die Volker Kauder nur offener als andere in Worte gefasst hat. Wenn
das in anderen Ländern auf Ablehnung stößt, dann vielleicht nicht
ganz ohne Grund – insbesondere angesichts der Tatsache, dass Deutschland bislang auch ökonomisch einer der Hauptprofiteure der Krise ist.
Und
die Kommission?
Aber
warum eigentlich will Timothy Garton Ash die Mitglieder des
Europäischen Rates in drei Wochen nur über die Reformvorschläge
von Merkel und Cameron abstimmen lassen? Einmal ganz davon abgesehen,
dass es ja noch andere Staats- und Regierungschefs gäbe, die man
nach ihren Europa-Visionen fragen könnte – ist nicht eigentlich
die Europäische Kommission die Institution, die qua EU-Vertrag dazu
berufen ist, das europäische Gesamtwohl im Blick zu haben? Und
sollte nicht deshalb eigentlich ihr die Führungsrolle bei der
Weiterentwicklung der Währungsunion zufallen?
Man
will sich gar nicht vorstellen, wie Jacques Delors als
Kommissionspräsident mit der Wirtschafts- und Schuldenkrise
umgegangen wäre: Offensichtlich war dessen Charisma und Protagonismus bei den
Integrationserfolgen der späten 1980er und frühen 1990er Jahre den
nationalen Regierungen ja so unangenehm, dass sie seitdem nur noch
möglichst blasse Kandidaten für dieses Amt vorgeschlagen haben.
Aber auch der Anticharismatiker José Manuel Durão
Barroso und sein Währungskommissar Olli Rehn haben die letzten
Monate nicht nur untätig herumgesessen, sondern einige Vorschläge
entwickelt, wie die Währungsunion künftig gestaltet sein sollte.
Diese
Reformpläne,
die nächste Woche offiziell vorgestellt werden sollen, sind im
Gegensatz zu den deutschen tatsächlich ausgewogen: Sie kombinieren
die Forderung nach Eurobonds, mit denen den überschuldeten Staaten
finanziell geholfen wäre, mit derjenigen nach Durchgriffsrechten, um
diese Staaten zu den notwendigen Strukturreformen zu bringen.
Zweifellos ließe sich auch hier noch einiges kritisieren und
verbessern. Aber als Ausgangsposition für die weitere Reformdebatte
taugen die Kommissionspläne allemal mehr als die der CDU.
Bild: Dirk Vorderstraße [CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons.
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