01 November 2011

Referendum in Griechenland

Gestern noch habe ich hier geschrieben, dass nationale Europa-Debatten, die durch nationale Referenden ausgelöst werden, nicht gerade das sind, was wir für einen diskursiven Fortschritt in der Europapolitik brauchen. Und prompt kündigt der griechische Premierminister an, ein ebensolches Referendum über die europäischen Schuldenschnitt-Pläne abhalten zu wollen.

Zunächst einmal: Ich denke nach wie vor nicht, dass von einem solchen Referendum etwas Großartiges zu erwarten ist, was die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit oder die Demokratisierung der europäischen Politik betrifft. Aber etwas verwundert es mich dann schon, wie die sonst so referendenfreundlichen deutschen Medien mit dem Thema umgehen. So berichten die Internetausgaben der großen Zeitungen sehr viel ausführlicher über die harschen Reaktionen auf die Ankündigung als über die Gründe, die Papandreou zu dem Referendum bewogen haben mögen – Spiegel online zum Beispiel macht derzeit mit der Nachricht Griechisches Störmanöver drückt Dax tief ins Minus auf (warum interessieren sich deutsche Medien eigentlich immer nur für den Dax und nie für den EuroStoxx oder den MSCI World?); die Aufmacher in der Online-Ausgabe der Süddeutschen und der FAZ beginnen jeweils mit einer Einschätzung Rainer Brüderles, der übrigens gesagt haben soll, das klinge, als ob Griechenland „irgendwie sich raus da rauswinden will aus dem, was man jetzt verhandelt hat“. Zeit online fragt sich, ob man „Papandreou überhaupt noch trauen“ kann. Und natürlich darf auch die Reaktion der griechischen Oppositionspartei Nea Demokratia (genau: die, während deren letzter Regierungszeit Griechenland systematisch falsche Haushaltsdaten an Eurostat meldete) nicht fehlen, derzufolge Papandreou ein „unberechenbarer Spieler“ ist. Geht's noch?

Man muss ja kein Spezialist für griechische Innenpolitik sein, um zu verstehen, dass Papandreou nur wenig Alternativen hat, wenn er die Zustimmung seiner Bevölkerung für die vom Europäischen Rat eingeschlagene Austeritätsstrategie sichern will. Seine eigene Partei, die sozialdemokratische PASOK (SPE), ist nicht wirklich von diesem Kurs überzeugt und unterstützt ihn nur widerwillig, weil sie angesichts der Forderungen der anderen europäischen Staaten, vor allem Deutschlands, keine andere Möglichkeit zum Verbleib in der Eurozone sieht. Die Nea Demokratia, die als EVP-Mitglied eigentlich der Austerität ideologisch näher steht, stimmt grundsätzlich gegen die Vorschläge der Regierung, in der Hoffnung, dadurch eine politische Krise und Neuwahlen herbeizuführen, bei der sie die allgemeine Unzufriedenheit mit der Lage ausnützen kann (wie schon einmal gesagt, bei einer Arbeitslosigkeit von über 25 Prozent hat kaum eine Regierung Chancen zur Wiederwahl, egal wie viel Verantwortung sie selbst daran trägt). Und die Bevölkerung geht derweil auf die Straße, demonstriert und streikt und entwickelt einen zunehmenden Hass auf alles, was das politische System zu bieten hat.

Ein Referendum bietet hier mindestens zwei Chancen. Zum einen wird die Nea Demokratia gezwungen, Stellung zu beziehen: Sie kann nicht gut gleichzeitig im Parlament gegen die von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen stimmen und Papandreou vorwerfen, dass er durch das Referendum eine Ablehnung genau dieser Maßnahmen riskiert. Und er gibt das Dilemma seiner eigenen Partei an die Wähler zurück, die sich nun entscheiden müssen, welches Risiko sie auf sich nehmen wollen: mehr Arbeitslosigkeit, Sozialkürzungen und Rezession, aber dafür der einigermaßen sichere Verbleib in der Eurozone – oder ein sofortiger Staatsbankrott, die Rückgewinnung wirtschaftspolitischer Souveränität, aber wohl verbunden mit dem Euro-Austritt und unkontrollierbaren Folgen für die Europäische Union als Ganzes.

Der Rest der Unionsbürger freilich kann nur bangend zusehen und hoffen, dass sich die Griechen richtig entscheiden. Sollten die dortigen Wähler tatsächlich gegen den Rettungsplan des Europäischen Rates stimmen, dann werden sich wohl manche deutschen Politiker wünschen, sie hätten früher schon etwas mehr Solidarität gegenüber den südeuropäischen Krisenstaaten gezeigt, statt ihnen die eigenen wirtschaftspolitischen Vorstellungen aufzuzwingen – und manche Medien die Frage stellen, ob nationale Referenden tatsächlich immer das demokratische Allheilmittel sind, für das sie hierzulande oft gehalten werden.

Nachtrag, 15.41 Uhr: Inzwischen hat Spiegel online seinen Aufmacher geändert und lässt nun Sven Böll in einem Kommentar Bravo, Herr Papandreou! rufen, mit im Wesentlichen ähnlichen Argumenten wie hier. Dagegen titeln Zeit online und FAZ net unverdrossen mit dem fallenden Dax.

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