Fünf Tage vor den gestrigen
Parlamentswahlen in Spanien hielt Afredo Pérez Rubalcaba,
Spitzenkandidat der Regierungspartei PSOE (SPE), eine Rede über die
wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes, das Hauptthema des
Wahlkampfes, und seine Lösungsvorschläge dafür. Die Optionen waren
zwei: Entweder die Europäische Zentralbank müsse massiv
intervenieren und spanische Staatsanleihen aufkaufen – oder der
Europäische Rat ein öffentliches Investitionsprogramm beschließen,
für das Spanien selbst das Geld fehlt. Das Problem: Beide
Optionen sind von europäischen Institutionen abhängig und hätten deshalb von Rubalcaba nach einem Wahlsieg gar nicht alleine durchgesetzt
werden können. Aber, wie El País etwas spöttisch schrieb,
„wenigstens an den Ideen soll es nicht scheitern“. Oppositionsführer Mariano Rajoy von der konservativen Partido Popular (EVP) machte sich
hingegen konsequenterweise gar nicht erst die Mühe, ein Wirtschaftsprogramm
zu formulieren. Stattdessen schimpften beide Kandidaten noch ein wenig
über „Merkozy“ (auch hierzu El País), und dann war dieser
paradoxe Wahlkampf auch schon wieder vorbei. Am Ende fuhr
die PSOE die erwartete verheerende Niederlage ein, womit nun im Lauf
des Jahres 2011 in allen fünf Staaten, die am meisten unter der
Euro-Krise leiden – Irland, Portugal, Griechenland, Italien und Spanien –, ein
Regierungswechsel stattgefunden hat.
Zugleich erreicht die Europäische
Volkspartei mit dem Wahlsieg in Spanien die wohl größte
institutionelle Machtfülle, die sie jemals hatte. Sie stellt nicht
nur den Präsidenten und die größte Fraktion des Europäischen
Parlaments sowie den Präsidenten und die meisten Mitglieder der
Europäischen Kommission, sondern auch den Präsidenten des
Europäischen Rates und die Regierungschefs von 17 der 27
EU-Mitgliedstaaten. In weiteren drei Ländern (Österreich, Niederlande, Estland) ist sie als Juniorpartner an Koalitionen
beteiligt, in Italien und Griechenland stützt sie die kürzlich
ernannten Technokratenkabinette. Bei den slowenischen Wahlen Anfang
Dezember hat die EVP ebenfalls gute
Chancen auf den Sieg. Lediglich in den von Linksbündnissen regierten Ländern
Zypern und Dänemark befindet sie sich in der Opposition, und in
Großbritannien und Tschechien ist sie überhaupt nicht im nationalen
Parlament vertreten – die dortigen konservativen Regierungsparteien
gehören nicht der EVP, sondern der europaskeptischen Allianz der
Europäischen Konservativen und Reformisten (AECR) an.
Parteitag in Marseille
Die Gelegenheit ist also günstiger
denn je, dass die Europäische Volkspartei den Bürgern ein Programm
vorstellt, wie sie die gegenwärtige Wirtschafts- und Schuldenkrise
zu überwinden gedenkt. Wenn die EVP sich hier einigen kann und ihre
Mitglieder einen gemeinsamen Kurs einschlagen, dann werden sie es
wohl sein, die den Weg zur EU-Reform vorgeben. Und wie vom
historischen Zufall bereitgelegt, wird prompt am nächsten 7./8.
Dezember in Marseille der alle zwei Jahre tagende Parteikongress stattfinden, wo sicher
auch das 2009 verabschiedete Positionspapier Erholung von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise eine Überarbeitung erfahren wird (das
viele gute Vorschläge sowie das aus der Retrospektive etwas rührende
Zitat „Heute
beginnen sich die Finanzmärkte schrittweise zu normalisieren“ enthält). Also Showdown an der
Côte d'Azur?
Vermutlich
nicht. Denn so einflussreich die EVP ist, so uneinig ist sie, was die
Zukunft der Europäischen Union betrifft. Da ist Nicolas Sarkozy, der
sich für eine Führungsrolle der Eurozone einsetzt, und Donald Tusk,
der darauf pocht, auch die Nicht-Euro-Länder an allen wichtigen
Entscheidungen zu beteiligen. Da ist Jean-Claude Juncker, der
wichtigste Befürworter von Eurobonds, und Angela Merkel, ihre
vehementeste Gegnerin. Da ist José Manuel Durão
Barroso, der sich für eine Vertiefung der europäischen Integration
einsetzt, und Horst Seehofer, der auf keinen Fall nationale
Souveränitätsrechte abtreten will. Und dann sind da noch Angelino
Alfano, der als italienischer Justizminister jahrelang für die
Ad-personam-Gesetze Silvio Berlusconis zuständig war, Andonis
Samaras, der in Griechenland bis vor wenigen Tagen
Fundamentalopposition gegen alle Sparmaßnahmen betrieben hat, und
Viktor Orbán, der in Ungarn die Meinungsfreiheit geknebelt und eine
dubiose neue Verfassung mit einer Präambel namens „Nationales
Bekenntnis“ erlassen hat.
Und
doch wäre es schön, wenn es dieser Truppe gelingen würde, sich
zusammenzuraufen und eine kohärente Resolution zu verabschieden, mit
der sich dann auch wirklich alle Mitgliedsparteien identifizieren.
Die Bürger könnten dann nämlich sehen, wofür die Marke EVP
eigentlich steht – und hätten etwas, woran sie sich bei der
nächsten Wahl orientieren können, wenn die entscheidenden
politischen Fragen wieder einmal nur auf europäischer Ebene zu lösen
sind.
PS.
Noch vor dem EVP-Kongress findet am 25./26. November in Brüssel
übrigens auch die Progressive Convention
der Sozialdemokratischen Partei Europas statt. Auch von der hätte
man natürlich gerne ein paar konkrete Antworten zum weiteren Umgang
mit der Krise. Denn schließlich werden, wenn man den Umfragen trauen
darf, in den nächsten Jahren in einem großen EU-Land nach dem
nächsten (Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien) die SPE
oder ihr nahestehende Parteien die Regierung übernehmen.
Bild: European People's Party (EPP Summit 18 June 2009) [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons
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