Plagiatejäger
aufgepasst: In meinem letzten Blogeintrag über Joschka Fischers Eurokammer findet sich eine Formulierung, die gar
nicht von mir ist – nämlich die Feststellung, dass Fischers
Vorschlag „darauf hinauslaufen würde, das gewählte Europäische
Parlament durch die Wiederauferstehung der Beratenden Versammlung zu ergänzen, die bis 1979
existierte“.
Im
Original lautet die Stelle:
La première idée consisterait en somme à doubler le Parlement élu au suffrage universel par la résurrection de l'Assemblée qui existait avant 1979 : comme si la démocratie consistait à émietter entre deux Chambres un pouvoir extrêmement faible, au lieu de l'accroître afin que les élus du peuple disposent enfin du droit de voter la loi et le budget.
Die erste Idee bestünde kurz gefasst darin, das in einer allgemeinen Wahl gewählte Parlament durch die Wiederauferstehung der Versammlung zu verdoppeln, die vor 1979 existierte: als ob die Demokratie darin bestünde, eine außerordentlich schwache Macht zwischen zwei Kammern zu zerkrümeln, statt sie zu vermehren, sodass die Volksvertreter endlich das Recht bekommen, über Gesetz und Haushalt abzustimmen.
Sie stammt
aus einem Gastkommentar des Politikwissenschaftlers und sozialdemokratischen
Europaabgeordneten Maurice Duverger, der am 30. Juni
1990 unter dem Titel Un gouvernement pour l'Europe in Le Monde veröffentlicht wurde.
Tatsächlich ist Fischers
Vorschlag einer Eurokammer, die
parallel zum Europäischen Parlament existieren und sich aus
Vertretern der nationalen Parlamente zusammensetzen soll,
nämlich noch nicht einmal besonders originell: Sie wurde bereits in den
Verhandlungen vor dem Vertrag von Maastricht diskutiert, mit dem die
Europäische Union 1992 gegründet wurde.
Die Befürworter
der Idee damals
Aufgebracht wurde der Vorschlag eines „Senats“ aus Delegierten nationaler Parlamente
Ende 1989 in einem Buch von Michael Heseltine, Unterstützung fand
die Idee unter anderem durch Leon Brittan sowie später durch Valéry
Giscard d'Estaing
und Jean François-Poncet.
Interessant ist dabei, welchen politischen Richtungen
die damaligen Befürworter des „Senats“ angehörten: Sowohl
Heseltine als auch Brittan zählten zum europafreundlichen Flügel
der britischen Conservative Party, die unter der Regierung Thatcher
ansonsten einen strikt antieuropäischen Kurs verfolgte. Giscard
d'Estaing und François-Poncet wiederum waren wichtige Vertreter
der UDF, die damals nach der gaullistischen RPR unter Jacques
Chirac die wichtigste französische Oppositionspartei war. UDF
und RPR traten zu Wahlen in der Regel mit gemeinsamen Listen an und
bemühten sich deshalb beständig, nach außen ein möglichst geschlossenes
Bild zu erwecken – was allerdings ausgerechnet in der Europapolitik
immer wieder scheiterte, da die kleinere UDF mit einer weiteren
Integration sympathisierte, während die größere RPR die Abgabe
weiterer nationaler Kompetenzen an die Europäische Gemeinschaft
ablehnte.
Was die
Befürworter der Senatsidee miteinander vereinte, war, dass sie
jeweils einer europafreundlichen Minderheit innerhalb einer eigentlich
europaskeptischen Gruppierung angehörten. Ihr Vorschlag, das
Europäische Parlament zugunsten einer „besseren Einbindung der nationalen
Parlamente“ zu schwächen, war also eigentlich ein Versuch,
ihren zweifelnden, national-souveränistischen Partnern eine Fortsetzung
der europäischen Integration schmackhaft zu machen. Im Falle
Heseltines war dies zum Scheitern verurteilt, nicht umsonst hatte er es
mit Mrs. No zu tun, der die europäische Integration dermaßen zuwider war, dass sie sich wohl von keinerlei Argumenten mehr hätte
beeindrucken lassen. Giscard d'Estaing dagegen war erfolgreicher: Anfang
Mai 1990 konnte er Chirac dazu bringen, sich öffentlich für einen
Senat aus nationalen
Delegierten auszusprechen – durch den es, so Chirac, möglich
sein würde, trotz Kompetenzübertragungen in wichtigen Politikbereichen
die „nationale Idee“ in der EG zu wahren.
Damit setzten
die beiden endlich einmal europapolitisch geeinten Oppositionsführer
auch die Regierung unter François Mitterrand unter
Druck, der seinerseits ohnehin eher den Europäischen Rat und nicht
das Europäische Parlament als wichtigsten Akteur der zu gründenden
Europäischen Union bevorzugte. Vor dem Gipfel von Dublin im
Juni 1990 geisterte der Senatsvorschlag deshalb auch durch die Verhandlungen
zwischen den Staats- und Regierungschefs – und löste nicht
nur den kritischen Gastbeitrag Maurice Duvergers in Le Monde aus, sondern
auch eine fraktionenübergreifende ablehnende Resolution des Europäischen
Parlaments. Da auch die Europäische Kommission unter
Jacques Delors und die deutsche Bundesregierung unter Helmut Kohl
sich nicht so recht dafür erwärmen konnten, wurde die Idee schließlich fallen gelassen. Stattdessen steigerte der Vertrag
von Maastricht durch die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens
die gesetzgeberische Macht des Europäischen
Parlaments (wenn auch nicht in dem Maß, in dem Duverger
sich das gewünscht hätte). Mitterrand zog dabei mit, Thatcher
dagegen dankte im November 1990 als Premierministerin ab, nachdem
sie bei der Abstimmung um den Parteivorsitz von Michael Heseltine
herausgefordert worden war und im ersten Wahlgang das notwendige
Quorum nicht erreicht hatte. Ihr Nachfolger wurde der europapolitisch
kompromissbereite John Major.
Und heute?
Wenigstens in der Frage des „Senats“ setzten sich in den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht also die Föderalisten durch. Wenn Joschka Fischer nun diese Idee in leicht abgewandelter Form als „Eurokammer“ wieder aufgreift, stellt sich die Frage, ob nicht auch er sich damit eigentlich an Europaskeptiker wendet – und wer dann die heutigen Thatchers und Chiracs sind, die er auf diese Weise von einer Vertiefung der europäischen Integration zu überzeugen versucht. Sein eigenes politisches Lager wird es wohl kaum sein, denn von Seiten der Grünen, traditionell die europafreundlichste Partei in Deutschland, schlägt seinem Vorschlag eher Ablehnung entgegen. Aber vermutlich denkt Fischer ohnehin schon längst nicht mehr parteipolitisch. Und wer weiß, vielleicht lässt sich die Bundestagsmehrheit und die von ihr getragene Regierung ja tatsächlich von dem Gedanken beeindrucken, dass eine Fiskalunion auch ohne supranationale Organe möglich sein könnte.
Nur
mit den Vereinigten Staaten von Europa, zu denen Fischer sich mit so entschlossener
Rhetorik bekennt, hat das alles nicht viel zu tun. Ein Heseltine ist
zwar besser als eine Thatcher, aber eben noch kein Duverger.
Bild: Financial Times [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.
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