Jede schwäbische Hausfrau weiß: Wer Schulden macht, muss dafür Zinsen zahlen. Wenn man sich eine neue Waschmaschine oder einen neuen Kühlschrank kauft, so sollte das deshalb möglichst nicht auf Pump sein, der schöne Haushaltsgegenstand wird sonst nämlich noch teurer, als er das ohnehin schon ist. Und das wird ja wohl für den Staatshaushalt genauso gelten.
Tut es nicht. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen sank zuletzt auf 1,763 Prozent – und damit deutlich unter das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank, das bekanntlich „unter, aber nahe bei 2 Prozent“ lautet. Wer also dem deutschen Staat Geld leiht, bekommt dafür in zehn Jahren inflationsbereinigt weniger heraus, als er ihm heute gegeben hat. Dieser auf den ersten Blick absurde negative Realzinssatz hat im Wesentlichen wohl zwei Gründe, die beide mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu tun haben: Zum einen wollen in Zeiten von Rezession und sinkenden Börsenkursen die Anleger keine Aktien, sondern festverzinsliche Wertpapiere kaufen – die Nachfrage nach Anleihen steigt also. Zum anderen wurde während der letzten Monate die Bonität etlicher Staaten heruntergestuft; es gibt nur noch sehr wenige Länder, die so wie Deutschland ein AAA-Rating haben – das Angebot ist also gesunken. Und da zum Beispiel zahlreiche Pensionsfonds verpflichtet sind, einen Teil ihres Kapitals in erstklassigen Staatsanleihen zu halten, können sie auf diese auch dann nicht verzichten, wenn sie damit inflationsbereinigt Verluste machen.
Wenn Deutschland jetzt neue Schulden aufnimmt, so macht es inflationsbereinigt Gewinne. Die Bundesrepublik ist damit in einer Situation, in die keine schwäbische Hausfrau jemals kommen würde; und deshalb verändert sich auch der Maßstab dessen, was wirtschaftlich vernünftig ist. Zum Beispiel könnte man jetzt Schulden aufnehmen, um einmalig die Steuern zu senken: Wenn man dann in zehn Jahren die Schulden wieder zurückzahlen muss, müsste man die Steuern zwar wieder erhöhen, aber um einen inflationsbereinigt niedrigeren Betrag, als man sie jetzt senkt. (Nein, das ist nicht das FDP-Programm; die wollen die Steuern dauerhaft senken.) Oder man könnte das Geld verwenden, um etwas Sinnvolles damit zu tun – zum Beispiel ein Investitionsprogramm für Griechenland & Co. auflegen, um die europäische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Klar, das hieße, dass Deutschland Schulden aufnimmt, um in anderen Ländern Geld auszugeben. Aber erstens haben die USA mit dem viel gelobten Marshallplan auch nichts anderes getan, und zweitens sind die Probleme der südeuropäischen Staaten schon längst auch deutsche Probleme geworden. Und es wird die Bundesrepublik am Ende sehr viel billiger kommen, diese Probleme jetzt zu lösen, als das Risiko eines Zerfalls der Währungsunion einzugehen.
Es wird in diesen Tagen in der deutschen Politik oft und gern gesagt, dass man ein Schuldenproblem nicht lösen kann, indem man neue Schulden macht. Das mag für die schwäbische Hausfrau gelten oder für Griechenland. Es gilt jedoch nicht für Deutschland, und damit auch nicht für die Eurozone als Ganzes.
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