- Die neue Große Koalition will die Europapolitik in den Mittelpunkt stellen. Aber dafür müsste sie inhaltlich konkreter werden.
Als
die Unterhändler von CDU/CSU (EVP) und SPD (SPE) Mitte Januar die
Ergebnisse
ihrer Koalitionssondierungen vorlegten, stießen sie bei vielen
Proeuropäern auf positive Reaktionen: Von Pulse
of Europe bis
zu den
Jungen
Europäischen Föderalisten, von
Henrik
Enderlein über
Ulrike
Guérot bis
Christian
Moos war
die Zustimmung zu den europapolitischen Ankündigungen im
Sondierungspapier groß. Und auch SPD-Chef Martin Schulz betonte auf
dem umkämpften Parteitag am 21. Januar den
„Paradigmenwechsel in der Europapolitik“, den
seine Partei in den Sondierungen erreicht habe. Ein „Deutschland,
das sich seiner Verantwortung für Europa bewusst ist und
entschieden handelt“, sei für ihn ein entscheidendes
Argument für die
Beteiligung der SPD an einer Großen Koalition.
Von Gemeinplätzen durchtränkt
Wirft
man einen genaueren Blick auf das Sondierungspapier (Wortlaut),
findet sich für diesen Enthusiasmus allerdings nicht allzu viel Anlass.
Gewiss, auf symbolischer Ebene setzten
die GroKo-Verhandler deutliche Signale: Das Kapitel zur Europapolitik
steht im Papier gleich an erster Stelle und verspricht nicht weniger
als einen „neuen Aufbruch für Europa“. Danach folgen drei Seiten
mit gemeinsamen Zielsetzungen – deutlich mehr als in dem
europapolitisch dürren
letzten Sondierungsstand der Jamaika-Verhandler im November.
Doch
auch bei der Großen Koalition bleiben viele dieser europapolitischen
Ankündigungen ausgesprochen vage. Das
Sondierungspapier ist durchtränkt von
Gemeinplätzen
(„Wir wollen Europa
bürgernäher und transparenter machen“, „Wir
wollen eine offene und faire Handelspolitik, die allen zugutekommt“)
und rhetorischen Redundanzen
(„Europa muss ein Kontinent der
Chancen sein, besonders für junge Menschen. Sie sind Europas
Zukunft. Wir wollen, dass junge Menschen ihre Hoffnungen auf Europa
setzen können“). Bei vielen Vorhaben bleibt unklar, mit welchen
Mitteln sie erreicht werden sollen („Die
demokratischen und rechtsstaatlichen Werte [der EU] müssen
noch konsequenter als bisher […] durchgesetzt werden“).
Und
einige
Formulierungen im Sondierungspapier sind gar
so
verschwurbelt, dass sich ihre Tragweite nur schwer abschätzen lässt.
Wenn
die Verhandler die Weiterentwicklung des Europäischen
Stabilitätsmechanismus zu einem „parlamentarisch
kontrollierten Europäischen Währungsfonds“ fordern,
so könnte das durchaus
bedeutend sein
– nämlich dann, wenn die immensen Mittel des ESM künftig der
Budgetkompetenz des Europäischen Parlaments unterstellt würden.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die nationalen Parlamente gemeint
sind, was gegenüber dem Status quo kein
nennenswerter demokratischer Fortschritt wäre.
Bislang bleibt vieles konventionell
Wirklich
auffällig an
dem Sondierungspapier ist
nur
die unzweideutige Bereitschaft zu „höheren Beiträgen Deutschlands
zum EU-Haushalt“. Die Verhandler von CDU/CSU und SPD versprechen
damit eine konstruktive Haltung in den bald
anstehenden Gesprächen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU ab
2021.
Gerade angesichts
der Haushaltslücke,
die durch den Austritt des bisherigen Nettozahlers Großbritannien
entstehen wird, ist das sehr
zu begrüßen.
Ansonsten
aber sind die konkreten Vorhaben des Sondierungspapiers eher konventionell: Vollendung des digitalen Binnenmarkts, mehr
europäische Investitionen nach Vorbild des Juncker-Plans, mehr Geld
für Erasmus Plus, mehr „faire Mobilität“ (aber
keine „missbräuchliche Zuwanderung in die Systeme
der sozialen Sicherheit“), bessere Vergleichbarkeit von
Bildungsstandards, eine „kohärente Afrika-Strategie“. Das mag
man alles schön und gut finden – aber ein „Paradigmenwechsel“
der deutschen Europapolitik ist dahinter beim besten Willen nicht zu
erkennen. Bei
keinem
einzigen der großen Themen,
die die Debatte über eine EU-Reform in den letzten Jahren geprägt
haben, schlägt das Sondierungspapier eine besonders fortschrittliche
Linie ein. Vielen
Fragen geht es vollständig aus dem Weg.
Was bringt
der Koalitionsvertrag?
Allerdings:
Noch handelt es sich ja nur um ein Sondierungspapier, und die
Verhandlungen für den finalen Koalitionsvertrag haben gerade erst
begonnen. Es besteht deshalb guter Grund zur Hoffnung, dass die
Koalitionspartner einige vage Versprechen noch mit konkreten Inhalten
füllen werden. Wie aber müssten diese Inhalte aussehen, damit die
nächste deutsche Bundesregierung tatsächlich wieder an der Spitze
der europapolitischen Debatte stünde?
Im
Folgenden sollen hier sieben Vorschläge vorgestellt werden, die sich
eine Koalition, die es mit dem „neuen Aufbruch für Europa“ ernst
meint, zum Ziel setzen könnte. Diese Vorschläge sind zwar
ambitioniert, aber nicht utopisch: Sie alle werden bereits von wichtigen
anderen europapolitischen Akteuren unterstützt oder könnten von der
Großen Koalition auch einseitig umgesetzt werden.
1.
Bekenntnis zum Spitzenkandidaten-Verfahren
Bei
der Europawahl 2014 stellten die europäischen Parteien erstmals
Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten auf –
ein demokratischer
Fortschritt, der aber gegen starke Widerstände im Europäischen Rat
erkämpft werden musste. Und auch
später weigerten
sich die nationalen Regierungen, sich eindeutig
zu dem neuen Verfahren zu bekennen. Am Ergebnis wird das zwar
nichts
ändern: Die europäischen Parteien und das Europäische Parlament
sind entschlossen und stark genug, um das Spitzenkandidaten-Verfahren
auch bei der nächsten Europawahl 2019 durchzusetzen, wie der
konservative Fraktionschef Manfred Weber (CSU/EVP) erst
vor wenigen Tagen noch einmal unterstrichen hat. Aber
der Unwillen der nationalen Regierungen sorgt für eine
institutionelle Unsicherheit, die dem Europawahlkampf nicht gut tun
kann.
Ein
klares Bekenntnis zu den Spitzenkandidaten – eine öffentliche
Erklärung, dass Deutschland im Europäischen Rat nur solche
Kandidaten für die Kommissionspräsidentschaft unterstützen wird,
die auch eine klare Aussicht auf eine Mehrheit im Europäischen
Parlament haben – ist deshalb das Mindeste, was man von einer
ernsthaft europafreundlichen Bundesregierung erwarten darf. Bedeutend
wäre dieser Schritt vor allem als Signal an die Medien, die
europäischen Spitzenkandidaten und
ihren Wahlkampf 2019
von Anfang an wichtig zu nehmen.
2.
Gesamteuropäische Listen
Europäische
Spitzenkandidaten sind allerdings nur der erste Schritt: Einen echten
Durchbruch für eine Europäisierung der Europawahl brächten
gesamteuropäische Listen, deren wichtigste Vorteile ich hier
und hier
beschrieben habe. Konkrete
Vorschläge dafür liegen bereits auf dem Tisch: Erst vor wenigen
Tagen stimmte der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments
dafür, den Europäischen Rat zu
einer entsprechenden Änderung des europäischen Direktwahlakts
aufzufordern. Und auch zahlreiche nationale Regierungen – unter
anderem Frankreich,
Italien und Spanien – unterstützen diesen Ansatz.
Gewiss:
Eine Umsetzung bis zur Europawahl 2019 ist inzwischen schon aus
Zeitgründen eher
unwahrscheinlich,
umso mehr, als die vier Visegrád-Staaten (Polen,
Ungarn, Tschechien, Slowakei) gesamteuropäische Listen derzeit offen
ablehnen. Doch
die Debatte wird weitergehen – und wenn der Großen Koalition das
„Europa der Demokratie“ so wichtig ist, wie es im
Sondierungspapier heißt, sollte sie hier zusammen mit den anderen
proeuropäischen Regierungen im Rat eine Führungsrolle übernehmen.
3.
Abschaffung nationaler Vetorechte
Ein
wichtiges Problem der Europäischen Union sind die nationalen
Vetorechte, die es bei vielen europäischen Entscheidungen – zum
Beispiel in der Außen-, Steuer- und Sozialpolitik, aber auch bei der
Verabschiedung
des mehrjährigen Finanzrahmens – bis heute gibt. Diese
Vetorechte machen die EU nicht nur schwerfällig; der
übermäßige Konsenszwang
schadet
auch der
europäischen
Demokratie.
Erfreulicherweise
enthält
der
EU-Vertrag (vor
allem durch die Brückenklausel in Art.
48 Abs. 7 EUV) die
Möglichkeit, in Bereichen, in denen jetzt noch einstimmige
Entscheidungen nötig
sind,
zu Mehrheitsverfahren
überzugehen. Im
Brok/Bresso-Bericht
von 2017 forderte das Europäische Parlament den Europäischen Rat
dazu auf, diesen überfälligen Schritt endlich zu tun. Passiert ist
seitdem jedoch nichts: Viele nationalen Regierungen sind offenbar
nicht dazu bereit, auf ihre Vetorechte zu verzichten. Die nächste
Bundesregierung sollte hier deutlich machen, dass sie nicht zu den
Blockierern zählt und zu einer Aktivierung der Brückenklausel
bereit ist.
4.
Europäische Steuern statt „nationaler Beiträge“
In
dem Sondierungspapier erklären sich die GroKo-Verhandler dazu
bereit, den deutschen Beitrag zum EU-Haushalt zu erhöhen. Auf eine
andere Schlüsselfrage der europäischen Budgetverhandlungen gehen
sie jedoch überhaupt nicht ein: nämlich den Vorschlag, bei der
Finanzierung der EU künftig generell
weniger auf
„nationale Mitgliedsbeiträge“ und
mehr auf
europäische Unternehmens- und Ökosteuern zu setzen.
Die
Hintergründe dieser Debatte habe ich hier
ausführlicher beschrieben – kurz gefasst geht es darum, den
EU-Einnahmen eine politische Steuerungswirkung zu geben und
zugleich
die Logik der nationalen Nettozahler/Nettoempfänger-Debatten zu
durchbrechen. Grundsätzliche Überlegungen dazu hat eine
Arbeitsgruppe um Mario Monti bereits
Ende 2016 vorgelegt; vor wenigen Wochen nannte Haushaltskommissar
Günther Oettinger (CDU/EVP) als spezifischen Vorschlag unter
anderem eine europäische Plastiksteuer. Eine
europafreundliche Bundesregierung sollte diese Entwicklung
nachdrücklich unterstützen.
5.
Automatische Stabilisatoren für die Eurozone
Wie
die Eurokrise zeigte, krankt die europäische Währungsunion an ihrer
Anfälligkeit für asymmetrische Schocks: Wenn in einem Teil der
Eurozone die Konjunktur abstürzt, während sie in anderen Ländern
stabil bleibt, kann
das leicht zu einer desaströsen Spirale führen. Um das zu
verhindern, sind finanzielle
Transfers in die Krisenstaaten nötig
– eine Erkenntnis, der auch die GroKo-Sondierer grundsätzlich
Rechnung tragen, wenn sie „spezifische Haushaltsmittel für
wirtschaftliche Stabilisierung […] in
der Eurozone“ fordern.
Allerdings
scheinen die Sondierer dabei bis jetzt nur diskretionäre
Mittel
im Blick zu haben – also einen Fonds, über dessen Verwendung die
Eurogruppe in
jeder Krise jeweils neu politisch entscheiden
müsste.
Dies
ist aus zwei Gründen problematisch: Zum einen zeigt die Erfahrung,
dass solche Entscheidungen in der Krise meist zu spät erfolgen, um
optimal zu wirken. Und zum anderen besteht immer die Gefahr, dass sie
politisch instrumentalisiert werden. Sinnvoller wäre deshalb die
Einführung automatischer
Stabilisatoren
in der Eurozone – konjunkturabhängiger, zyklischer Finanztransfers
zwischen den Mitgliedstaaten, die nach einem vorher festgeschriebenen
Mechanismus ausgelöst werden.
Das
beste Modell dafür wäre eine europäische
Arbeitslosenversicherung, wie
sie 2014 auch der
damalige EU-Sozialkommissar László Andor (MSZP/SPE)
ins Spiel brachte.
Die deutsche Bundesregierung bügelte
den Vorschlag damals jedoch brüsk ab.
Erst vor einigen Monaten machte der italienische Finanzminister Pier
Carlo Padoan (PD/SPE) nun einen
neuen Vorstoß. Im Sinne eines „neuen Aufbruchs für Europa“
sollte die Große Koalition diese Chance nutzen und ihre bisherige
Blockadehaltung korrigieren.
6.
Europäische Einlagensicherung
Ein
wichtiger
Brandbeschleuniger in der Eurokrise war die Konkurrenz
zwischen den nationalen Einlagensicherungssystemen für Banken:
In den Panikwochen im September 2008 überboten sich die
Mitgliedstaaten mit nationalen Anlegergarantien – mit
dem Ergebnis einer
Kapitalflucht aus dem schwächeren Irland in das stärkere
Deutschland.
Die
Europäische Kommission hat deshalb bereits
2015 einen Vorschlag für eine gesamteuropäische Einlagensicherung
vorgelegt, der seitdem jedoch vor allem wegen des Widerstands der
deutschen Bundesregierung im Ministerrat auf Eis liegt. Ende 2017
schwächte
die Kommission ihren Vorschlag deshalb bereits ab. Die
deutsche Bankenlobby (für
die das
derzeitige
Ungleichgewicht zwischen den nationalen Einlagensicherungen natürlich
auch ein
Wettbewerbsvorteil ist)
bleibt
jedoch bei ihrem kategorischen Nein. Auch
hier sollten die
GroKo-Verhandler
ihre
nationalen
Scheuklappen ablegen und
im
Koalitionsvertrag
einen
konstruktiveren
Umgang
mit
dem Vorschlag der Kommission ankündigen.
7.
Allgemeines Wahlrecht für Unionsbürger
Wer
als Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat lebt, darf dort an
Europa- und Kommunalwahlen teilnehmen. Die Teilnahme an Landtags- und
Bundestagswahlen ist den rund 4,3 Millionen nicht-deutschen
EU-Bürgern in Deutschland jedoch verwehrt – ein
demokratisch
unbefriedigender Zustand, der nicht zuletzt die politische
Integration der europäischen Gesellschaften erschwert.
Die
beste Lösung für dieses Problem wäre natürlich eine
EU-Vertragsreform, um die in Art.
20 AEUV verankerten
Unionsbürgerrechte auf nationale und regionale Parlamentswahlen zu
erweitern. Doch auch wenn eine solche Vertragsreform wegen
des Widerstands anderer Regierungen
kurzfristig
nicht zu erreichen ist, könnte eine europafreundliche Große
Koalition Unionsbürgern wenigstens in
Deutschland das volle Wahlrecht zugestehen – gegebenenfalls auf
Gegenseitigkeit in Form von bi- oder multilateralen Verträgen mit
anderen Staaten.
Für
eine solche Wahlrechtsreform wäre (nach einem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts von 1990) eine Grundgesetzänderung
nötig, doch die dafür nötigen Mehrheiten in Bundestag und
Bundesrat sollte die Große Koalition mit Unterstützung der
europafreundlichen Oppositionsparteien
durchaus erreichen können. Was
könnte besser geeignet sein, um dem im Sondierungspapier geäußerten
Wunsch nach einem „Europa der Demokratie“ mit einem „lebendigen
Parlamentarismus auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene“
gerecht
zu werden?
Schöne Worte sind nicht genug
Ist
es sinnvoll, wenn sich die beiden großen Parteien der Mitte zu einer
gemeinsamen Regierung zusammentun, oder verleihen sie damit nur den
Populisten am Rand des politischen Spektrums Auftrieb? Wie ich hier
vor einem Jahr geschrieben habe, kommt es wesentlich darauf an,
was die Pro-Europäer
aus ihrer Zusammenarbeit machen: Grundsätzlich
bringt eine Große Koalition immer die Gefahr mit sich, dass die
Unterschiede zwischen den Parteien verwischen, sodass die
Populisten als einzige „echte Alternative“ auftreten können. Sie
kann jedoch auch zum Erfolg werden – nämlich dann, wenn es ihr
gelingt, die Funktionsweise des politischen Systems selbst zu
verändern, sodass eine neue, demokratischere Europapolitik den
Populisten ihr Protestpotenzial nimmt.
Wenn
die Große Koalition es also ernst meint mit
dem „neuen Aufbruch für Europa“, so ist ihr damit Erfolg zu
wünschen. Doch
schöne
Worte und symbolische Gesten, wie
das Sondierungspapier sie bietet, werden
dafür
nicht genügen.
Der
Koalitionsvertrag wird zeigen, ob CDU/CSU und SPD auch zu konkreten
Maßnahmen für eine stärkere
und demokratischere EU
bereit sind.
Bild: © European Union 2012 EP / Pietro Naj-Oleari [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
Mein ergänzender Vorschlag 1a:
AntwortenLöschenDie Parteien sollten zu den Europawahlen 2019 nicht nur mit europäischen Spitzenkandidaten für die Kommissionspräsidentschaft antreten, sondern auch mit nationalen Spitzenkandidaten für die Besetzung der übrigen Kommission. Wahlen werden für die Menschen interessanter, wenn sie das Gefühl haben, dabei über das künftige Spitzenpersonal abstimmen zu können. Von daher wäre es nur logisch und konsequent, wenn bei den Europawahlen nicht nur personelle Alternativen für die Kommissionsspitze angeboten werden, sondern eben auch für die Besetzung der übrigen Kommission.Die in Deutschland gewählten Europaabgeordneten könnten dann mit Mehrheitsbeschluss der Bundesregierung eine Vorgabe machen, wer in Brüssel als künftiges Mitglied der Kommission aus Deutschland vorgeschlagen wird. Rechtlich stünde dem nichts im Wege; Artikel 17 (7) des EU-Vertrages schreibt lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten Vorschläge für die Besetzung der Kommission machen. Wie die Vorschläge zustande kommen, ist Sache der Mitgliedstaaten und könnte für Deutschland in Berlin beschlossen werden. Voraussetzung wäre lediglich der politische Wille der maßgeblich Beteiligten. Das ist uns mit den Spitzenkandidaten für die EU-Kommissionspräsidentschaft vor Augen geführt worden. Die sind im EU-Vertrag mit keinem Wort erwähnt, und trotzdem hatten wir 2014 eine Situation, in der dem Europäischen Rat de facto die Hände gebunden waren, obwohl er laut EU-Vertrag das Vorschlagsrecht für den Kommissionpräsidenten hatte.Das könnte man doch auch mit Blick auf die Auswahl der Kommissare machen. Aus Respekt vor den Wählerinnen und Wählern, die zur Europawahl 2019 gehen, könnten sich die Parteien im Vorfeld darauf verständigen, dass beim Vorschlag für die künftige Kommissarin/den künftigen Kommissar das Ergebnis der Wahlen berücksichtigt wird. Dies könnte dann so konkretisiert werden, dass die Parteien vor der Wahl sagen, wen sie als künftige Kommissarin oder Kommissar im Auge haben. Nach der Wahl könnten dann die neu gewählten deutschen Europaabgeordneten zusammentreten und abstimmen. Rein rechtlich gesehen wäre das Abstimmungsergebnis natürlich nur eine Empfehlung, aber politisch eben bindend.Auch vor dem Hintergrund der angestrebten transnationalen Listen wäre der Vorschlag von Bedeutung. Indem man den auf den nationalen Listen gewählten Abgeordneten eine neue zusätzliche Rolle bei der Auswahl der Kommission zuweist, kann dem Vorwurf entgegengewirkt werden, dass die Europaabgeordneten auf den nationalen Listen bei Einführung transnationaler Listen nur noch Abgeordnete zweiter Klasse wären. Anders als bei den gegenwärtig als Innovation diskutierten transnationalen Listen bräuchten bei dem vorgeschlagenen Verfahren zur Benennung von nationalen Spitzenkandidaten auch nicht alle Mitgliedstaaten von Anfang an mitzumachen.