20 Juni 2022

War die EU-Zukunftskonferenz die Mühe wert?

Was bleibt von der Konferenz zur Zukunft Europas? Hat sie ein neues Modell der Bürgerbeteiligung in Europa etabliert? Sollte sie zu einem Europäischen Konvent und einer Vertragsreform führen? Woran ist sie gescheitert, und welche Lehren lassen sich daraus ziehen?

In dieser Artikelserie werfen Expert:innen aus Wissenschaft, Think Tanks und Zivilgesellschaft einen Blick zurück auf die Ergebnisse und voraus auf die Folgen der Konferenz. Heute: Héctor Sánchez Margalef.
Eine Teilnehmerin macht sich Notizen während einer Tagung der EU-Zukunftskonferenz im Plenarsaal des Europäischen Parlaments
„Wenn das Konferenzverfahren nur zur Fassade dient, um der Union einen demokratischen Anstrich zu geben, wird die Konferenz ein Fehlschlag gewesen sein.“

Die Europäische Union liebt Symbole, und deshalb musste die Konferenz zur Zukunft Europas am 9. Mai 2022, dem Europatag, enden. In dem genau einen Jahr seit ihrem offiziellen Beginn hat sie Bürger:innen aus ganz Europa sowohl physisch als auch online in verschiedenen Formaten versammelt und 49 Vorschläge hervorgebracht. Nicht hervorgebracht hat sie jedoch die Begeisterung unter den europäischen Bürger:innen, die sich ihre Befürworter:innen erhofft hatten. Auch das Erbe der Konferenz – die Frage, ob und welche Folgen sie haben wird – ist noch offen. Man muss sich also fragen: War das alles die Mühe wert?

Es gibt drei Maßstäbe, nach denen der Wert der Zukunftskonferenz beurteilt werden könnte: (1) die Zahl der von ihr mobilisierten Bürger:innen, also die durch den Prozess gewonnene Legitimität; (2) die Qualität der von der Konferenz erarbeiteten Vorschläge, die den Weg in den Abschlussbericht gefunden haben, also die durch Politikvorschläge gewonnene Legitimität; und (3) der Folgeprozess der Konferenz und ihre Fähigkeit, (a) sich zu einem dauerhaften Bürgerkonsultationsverfahren weiterzuentwickeln, der das Experiment deliberativer Demokratie fortsetzt, und/oder (b) die Politikideen des Abschlussberichts in die Praxis umzusetzen und/oder (c) einen Konvent in Gang zu bringen, der zu einer Vertragsänderung führt.

Bürger bringen sich in Europa ein?

Die Konferenz war ein Versuch der europäischen Institutionen, mit den Bürger:innen in Kontakt zu treten, ihnen zuzuhören und sie an den Entscheidungs- und Prioritätensetzungsprozessen teilhaben zu lassen. Es war deshalb nur normal, dass auch gewählte Vertreter:innen an dem Prozess teilnahmen. Im Plenum der Konferenz – Gremium, das für die Ausarbeitung des Abschlussberichts zuständig war – saßen 108 Europaabgeordnete und 108 nationale Abgeordnete. Darüber hinaus waren 105 Vertreter:innen anderer Institutionen beteiligt (Rat 54, Kommission 3, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss 18, Ausschuss der Regionen 18, lokale und regionale Vertreter:innen 12). Das macht insgesamt 321 Teilnehmer:innen, die nicht nur gewöhnliche Bürger:innen waren, sondern andere Verpflichtungen, etwa gegenüber ihrer Partei oder Organisation, hatten.

Die zufällig gelosten Bürger:innen stellten im Plenum demgegenüber108 Personen. Hinzu kamen 8 Vertreter:innen der Sozialpartner und 8 der organisierten Zivilgesellschaft. Das bedeutet, dass nur 25 % des Plenums, in dem Entscheidungen über den Abschlussbericht getroffen wurden, tatsächlich einfache Bürger:innen waren.

Bürgervertreter:innen

Außerdem veranstaltete die Konferenz vier europäische Bürgerforen, die in ganz Europa sowie online stattfanden und vier verschiedene Themenbereiche bearbeiteten. Jedes Forum bestand aus 200 zufällig ausgewählten Bürger:innen, wobei alle notwendigen Faktoren berücksichtigt wurden, um sie so vielfältig und repräsentativ zu machen, wie es die Europäische Union ist. Insbesondere war ein Drittel dieser Bürger:innen zwischen 16 und 25 Jahre alt.

Darüber hinaus sollten die Mitgliedstaaten mit Unterstützung der regionalen und lokalen Verwaltungen Veranstaltungen durchführen, die mit der Konferenz in Verbindung standen. Von den 108 Bürger:innen, die an der Plenarsitzung teilnahmen, stammten 80 aus den vier europäischen Bürgerforen. Vertreten waren außerdem für jeden Mitgliedstaat (27) eine Teilnehmer:in der nationalen Bürgerforen sowie die Präsidentin des Europäischen Jugendforums.

Weniger als ein Prozent der Bevölkerung nahm teil

Die Diskussionen im Plenum und in den Bürgerforen stützten sich auf die Vorschläge und Debatten, die auf der mehrsprachigen digitalen Plattform stattfanden. Diese Plattform sollte zu mehr Bürgerbeteiligung beitragen, da auf diesem Weg auch Bürger:innen, die nicht für die Bürgerforen ausgewählt worden waren, an der Konferenz teilnehmen und ihre Ideen einbringen oder die Ideen anderer unterstützen konnten (es sei denn, sie hatten keinen Internetzugang oder nicht die digitalen Fähigkeiten, sich darin zurechtzufinden, aber das ist ein anderes Thema).

Nach den offiziellen Zahlen gab es jedoch weniger als 54 000 Teilnehmer:innen, die sich auf der Plattform angemeldet haben, und 721 500, die an dezentralen Veranstaltungen teilgenommen haben. Laut Eurostat leben in der EU rund 447 Millionen Menschen – das bedeutet, dass nicht einmal 1 % der Bevölkerung an der Konferenz teilgenommen hat. Alles in allem scheint diese Quote zu niedrig, um behaupten zu können, dass die Konferenz die Bürger:innen zu einer Debatte über die Zukunft Europas mobilisieren konnte.

Die Konferenz durch den Prozess zu legitimieren, scheint deshalb schwierig – nicht nur, weil so wenig Menschen daran teilnahmen, sondern auch weil in der Bevölkerung das Bewusstsein für diese Möglichkeit (oder, noch schlimmer, das Interesse daran) so gering war. Die digitale Plattform könnte allerdings ein großartiges Instrument sein, um das Erbe der Konferenz weiterzuführen und Bürger:innen auch in Zukunft eine einfache Kontaktaufnahme mit Entscheidungsträger:innen zu ermöglichen. Außerdem haben sich die Bemühungen, die Plattform in allen EU-Amtssprachen zur Verfügung zu stellen, wenigstens für diejenigen ausgezahlt, die mit ihrer Hilfe Sprachbarrieren überwunden haben.

Mehr Zeit hätte mehr Teilnahme bringen können

Hätte diese geringe Beteiligung vermieden werden können? Sicher nicht ganz. Die Beteiligung hätte aber höher sein können, wenn sich die Institutionen und die Mitgliedstaaten mehr Zeit genommen hätten, um für die Konferenz zu werben und mehr Bürgerdialoge (auf europäischer und nationaler Ebene) durchzuführen. Die erste Plenarsitzung hätte der Ort sein können, um einige der Mängel, die schon früh im Prozess festgestellt wurden, zu beheben. Doch die Eile, mit der die Konferenz durchgeführt wurde, machte jegliche Nachbesserung während des laufenden Verfahrens unmöglich.

Die Beteiligung der Bürger:innen wurde positiv hervorgehoben, und wenn man bedenkt, dass es das erste Mal war, dass ein Projekt dieser Größenordnung durchgeführt wurde, kann man durchaus zufrieden sein. Sieht man nur auf die Zahlen, kann man die Konferenz nicht als einen Erfolg bezeichnen. Aber ein Misserfolg war sie auch nicht. Wenn diese Form der Bürgerbeteiligung zu einem dauerhaften Modell werden soll, war dies ein guter Ausgangspunkt. Die Frage ist nun: Können die politischen Vorschläge, die die Bürger:innen gemacht haben, die niedrige Teilnehmerzahl ausgleichen?

Die politischen Vorschläge: Wendepunkt oder nur Denkanstoß?

Der Bericht, der vom Konferenzplenum angenommen wurde, antwortet auf neun Herausforderungen: Klimawandel und Umwelt; Gesundheit; Wirtschaft; die EU in der Welt; Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit; digitaler Wandel; europäische Demokratie; Migration; Bildung, Kultur, Jugend und Sport. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen gibt es 49 Vorschläge mit konkreten Maßnahmen, wie die skizzierten Ziele erreicht werden können.

Wie sind diese Vorschläge zustande gekommen? Der Abschlussbericht wurde in der letzten Plenarsitzung im Konsens angenommen und dem Exekutivausschuss der Konferenz vorgelegt. Diese Vorschläge waren das Ergebnis der Arbeit der Bürger:innen, aber sie konnten nur im Konsens zwischen den im Plenum vertretenen Institutionen angenommen werden. Die Vorschläge der Europäischen Bürgerforums, der mehrsprachigen digitalen Plattform und von sieben nationalen Bürgerforen (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Litauen und Niederlande) wurden in den Bericht aufgenommen. Dies bedeutet, dass einige Mitgliedstaaten, die während der Konferenz nationale Bürgerforen veranstalteten, sich dabei aber nicht an die rules of procedure der Konferenz hielten, nicht berücksichtigt wurden, aber es zeigt auch, dass nicht alle Mitgliedstaaten der Konferenz die gleiche Bedeutung beimaßen.

Institutionen versuchen radikale Forderungen zu vermeiden

Im Hinblick auf die Vorschläge ist auch die Rolle der Expert:innen und des Organisationsteams zu betrachten. Expert:innen spielten während der Konferenz nur eine untergeordnete Rolle – teils weil die Organisation wollte, dass die Veranstaltung wirklich von den Bürger:innen getragen würde, teils aber auch, weil sie befürchtete, dass die Expert:innen die Debatten an sich reißen, ihre eigene Agenda durchsetzen und die Bürger:innen dazu bringen würden, Vorschläge zu machen, die vom Plenum nicht akzeptiert werden.

Wenn Expert:innen zur Information der Bürger:innen eingesetzt wurden, war der Zeitrahmen sehr eng und die Bürger:innen hatten keine Zeit, über das, was ihnen gesagt wurde, nachzudenken, um ihre Meinung zu ändern oder bessere Vorschläge zu machen. Zugleich drängten die Organisator:innen darauf, einen Konsens zu erreichen, damit die Vorschläge ins Plenum eingebracht werden konnten. Dadurch wurde Druck auf die Bürger:innen ausgeübt, die sich entweder der Diskussion enthielten, um eine Einigung zu erzielen, oder ein Entgleisen des Prozesses riskierten.

Die Institutionen wollten den Prozess von Anfang an steuern, und sei es nur, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Sie wollten keine radikalen Forderungen riskieren, für die kein Follow-up möglich sein würde (auch wenn dies ohnehin nicht garantiert war). Dies zeigte sich schon zu Beginn der Konferenz, als der Ablauf des Verfahrens sowie die Themen, die auf der digitalen Plattform und in den europäischen Bürgerforen diskutiert werden sollten, ohne Beteiligung der Bürger:innen beschlossen wurden.

Die Bedeutung der Konferenz hängt von ihrem Follow-up ab

Dennoch gingen aus der Konferenz ehrgeizige Vorschläge hervor. Im Abschnitt „Klimawandel und Umwelt“ zielt Vorschlag 3 beispielsweise auf die „Verbesserung der Energieversorgungssicherheit in der EU, Erreichen der Energieunabhängigkeit der EU bei gleichzeitiger Sicherstellung eines gerechten Übergangs und Versorgung der Unionsbürger mit ausreichender, erschwinglicher und nachhaltiger Energie“ ab. Maßnahme Nr. 2 zur Erreichung dieses Ziels verlangt die „Berücksichtigung der geopolitischen und sicherheitspolitischen Auswirkungen aller Energieversorger aus Drittländern, einschließlich der Menschenrechte, des ökologischen Aspekts sowie der verantwortungsvollen Staatsführung und der Rechtsstaatlichkeit, im Rahmen der Energiepolitik“. Eine der Maßnahmen des Vorschlags 38 sieht vor, dem Europäischen Parlament ein Recht zur Gesetzesinitiative einzuräumen. Einige Vorschläge würden Vertragsänderungen notwendig machen, andere könnten allein mit dem nötigen politischen Willen umgesetzt werden.

Sind die politischen Vorschläge also ein Wendepunkt oder werden sie nur ein Denkanstoß sein? Das wird davon abhängen, wie es weitergeht und was sich aus der Konferenz entwickeln wird. Indessen wurde das Narrativ aufgebaut, dass – egal, was mit den Ergebnissen geschieht – das Verfahren der Konferenz jedenfalls die Mühe wert war: Wenn die Empfehlungen nicht umgesetzt werden können oder ins Stocken geraten, weil es keine Einigung zwischen den Institutionen und/oder den Mitgliedstaaten über das weitere Vorgehen gibt, dann wird die Tatsache, dass sich die europäischen Institutionen zum ersten Mal bemüht haben, ihren Bürger:innen zuzuhören, für sich allein als ausreichender Erfolg verkauft werden. Wenn die politischen Vorschläge jedoch umgesetzt werden, dann war die Konferenz ein Erfolg, da die politischen Vorschläge, unabhängig von ihrer Qualität, legitimiert wurden.

Wie geht es weiter?

Für das Follow-up der Zukunftskonferenz gibt es mindestens drei Möglichkeiten, die sich nicht gegenseitig ausschließen:

● Die erste und am wenigsten wünschenswerte Möglichkeit ist die Fortsetzung der bisherigen Vorgehensweise. In diesem Szenario wird der Bericht der Konferenz betrachtet und ignoriert, weil die EU sich um wichtigere Angelegenheiten kümmern muss. Diese Option ist gefährlich, weil sie den Bürger:innen, ob sie an der Konferenz teilgenommen haben oder nicht, das Gefühl vermitteln kann, dass ihre Stimme nicht zählt. In Anbetracht der zunehmenden Distanz, die die Repräsentierten zu ihren Repräsentant:innen empfinden, darf die EU dies nicht zulassen.

● Die zweite Option besteht darin, die Vorteile des für die Konferenz angewandten Verfahrens anzuerkennen und sie dauerhaft zu machen, da der Nutzen deliberativer Prozesse für demokratische Systeme offensichtlich ist. Die Entscheidung für dieses Szenario bedeutet mindestens zwei Dinge. Erstens müssen die Institutionen überlegen, was gut und was schlecht gelaufen ist, um es zu korrigieren. In dieser Hinsicht liegt es auf der Hand, dass das Agenda-Setting von Anfang an die Bürger:innen hätte einbeziehen sollen, dass mehr transnationale Dialoge besser gewesen wären, um mehr Bürger;innen zu erreichen, und dass ein längerer Zeitrahmen wünschenswert gewesen wäre, um das Potenzial eines deliberativen Prozesses wirklich zu entfalten.

Zweitens muss ein Grund gefunden werden, diesen Prozess dauerhaft zu machen, damit die Bürger:innen sehen, dass ihre Beiträge und ihre Teilnahme an ähnlichen Übungen wichtig sind und zu etwas Greifbarem führen. Selbst wenn ein ständiger Prozess nur nur eine beratende Funktion haben oder dazu dienen soll, den Bürger:innen zuzuhören, um nach möglichen innovativen Lösungen zu suchen, muss dies deutlich werden.

Reformoptionen

● Die dritte Möglichkeit besteht darin, tatsächlich Reformen durchzuführen. Hier gibt es wiederum zwei Optionen: Die eine bestünde darin, nur einige spezifische Vorschläge des Abschlussberichts umzusetzen, die keine institutionelle Tragweite haben. Da die EU kein direktdemokratisches System ist, argumentieren einige in Brüssel, dass das Parlament und der Europäische Rat das letzte Wort darüber haben müssen, wie das Follow-up der Konferenz aussehen soll. Diesem Standpunkt zufolge können 95 % der im Abschlussdokument skizzierten Vorschläge ohne Vertragsänderung verwirklicht werden.

Weiter argumentieren diese Stimmen, dass die Herausforderungen, mit denen die EU konfrontiert sei, mit politischem Willen bewältigt werden könnten, und dass es naiv sei zu glauben, dass institutionelle Veränderungen automatisch zu einer Lösung führten. Abgerundet wird diese Haltung damit, die Zukunftskonferenz als vielversprechendes Experiment hinsichtlich ihres Verfahrens zu loben. Entsprechend solle die EU die Einbeziehung der Bürger:innen in die Debatte über wichtige politische Herausforderungen weiter ausbauen, um Optionen, Instrumente sowie längerfristige Auswirkungen von Maßnahmen zu prüfen.

Eine Öffnung der Verträge?

Die andere Reformoption hingegen impliziert eine ernsthafte politische Entscheidung, nämlich die Öffnung der Verträge. Das Parlament spricht sich eindeutig für die Einleitung eines Konvents aus und hat bereits offiziell gefordert, dafür Art. 48 EUV auszulösen. Einige Mitgliedstaaten unterstützen diese Position, da dies aus ihrer Sicht einen politischen Impuls für die EU bedeuten würde. Einige andere Mitgliedstaaten haben die Option einer Vertragsreform allerdings bereits ausgeschlossen.

Die Frage, wie es weitergehen soll, ist auch zwischen den Institutionen umkämpft. Das Europäische Parlament war während der gesamten Konferenz die Institution, die den Bürgern am nächsten stand, und es setzt darauf, dass es bei einer Reform der Verträge viel zu gewinnen hat, insbesondere durch das Recht zur Gesetzesinitiative. Dies würde jedoch die Rolle der Kommission schwächen und das Gleichgewicht zwischen den beiden Gesetzgebungsinstitutionen – Parlament und Rat – untergraben.

Lehren für die Zukunft ziehen

Was man der Konferenz über die Zukunft Europas nicht absprechen kann, ist ihr Ehrgeiz. Zum ersten Mal hat die Union ein demokratisches transnationales Experiment in Angriff genommen, um Bürger:innen über Wahlen hinaus an der Gegenwart und Zukunft der Union teilhaben zu lassen. Es hätten mehr Bürger:innen beteiligt werden können, wenn mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Die politischen Vorschläge hätten besser, konkreter und zielgerichteter sein können, wenn die Verfahren anders verlaufen wären. In dieser Hinsicht wird die Konferenz als Erfolg gewertet werden, wenn daraus Lehren für die Zukunft gezogen werden. Wenn nicht, wird die Konferenz ein Fehlschlag gewesen sein.

HInsichtlich der transformativen Kraft der Konferenz wird nur die Zeit Aufschluss geben. Das Konferenzverfahren und die digitale Plattform als grundlegende Bestandteile des demokratischen Lebens der Union beizubehalten, wird ein Erfolg sein, wenn damit ein klarer Zweck verbunden ist. Wenn sie nur zur Fassade dienen, um der Union in den Augen ihrer Bürger:innen einen demokratischen Anstrich zu geben, wird die Konferenz ein Fehlschlag gewesen sein.

Eine Vertragsreform erscheint möglich

In Hinblick auf Vertragsänderungen scheinen die westlichen Mitgliedstaaten eher bereit zu sein, die Verträge zu öffnen und einen Konvent einzuberufen. Die östlichen Mitgliedstaaten sind eher zurückhaltend, und über dem ganzen Vertragsreformverfahren würde die Versuchung schweben, Kompetenzen von der EU zurückzugewinnen.

Vor diesem Hintergrund scheint es jedoch keine unvernünftige Erwartung, dass eine Einigung möglich sein könnte – etwa eine Öffnung der Verträge im Austausch für die Erleichterung einer Art ukrainischer Mitgliedschaft oder die Beschleunigung des Beitrittsverfahrens. Jede Bewegung in diese Richtung, die gegen die demokratischen Grundsätze und die Rechtsstaatlichkeit der Union verstößt, würde jedoch bedeuten, dass die Konferenz ein Fehlschlag gewesen ist.

Wie die Konferenz noch ein Erfolg werden kann

Und schließlich drängt sich die Frage auf, zu welchem Zweck genau ein Konvent stattfinden soll. Eine Vertragsreform nur um ihrer selbst willen wird zu viel politisches Kapital bei ungewissem Ausgang verschlingen. Eine Vertragsänderung dient nicht dazu, Ehrgeiz und Vertrauen in das europäische Projekt zu zeigen, sondern Kompromisse zu finden und die Schwächen der Union zu beheben. Wenn die Vertragsreform nur ein symbolisches Zeichen ist und es keine klare und gemeinsame Vorstellung davon gibt, wohin sich die Union entwickeln und was aus ihr werden soll, dann ist es besser, sie so zu lassen, wie sie ist.

Wenn hingegen die Mitgliedstaaten, die ihren Willen zu einer Vertragsänderung bekundet haben, bereit sind, die Empfehlungen ihrer Bürger:innen aufzugreifen, dann sollten wir die Verträge wieder öffnen, die Bürger:innen in einen möglichen Konvent einbeziehen und die Europäische Union umgestalten. Dann wird die Konferenz über die Zukunft Europas wirklich ein Erfolg gewesen sein.

Portrait Héctor Sánchez Margalef

Héctor Sánchez Margalef ist Forscher am Barcelona Centre for International Affairs (CIDOB).




Übersetzung: Manuel Müller.
Bilder: Plenarsitzung der Zukunftskonferenz: EPP Group [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; Porträt Héctor Sánchez Margalef: alle Rechte vorbehalten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kommentare sind hier herzlich willkommen und werden nach der Sichtung freigeschaltet. Auch wenn anonyme Kommentare technisch möglich sind, ist es für eine offene Diskussion hilfreich, wenn Sie Ihre Beiträge mit Ihrem Namen kennzeichnen. Um einen interessanten Gedankenaustausch zu ermöglichen, sollten sich Kommentare außerdem unmittelbar auf den Artikel beziehen und möglichst auf dessen Argumentation eingehen. Bitte haben Sie Verständnis, dass Meinungsäußerungen ohne einen klaren inhaltlichen Bezug zum Artikel hier in der Regel nicht veröffentlicht werden.